„In letzter Konsequenz schalten wir die Bildermaschine fast ganz aus.“
Victoria Halper und Kai Krösche (DARUM) im Gespräch mit Dramaturg Matthias Seier über die verdrängten Narben einer Pandemie, über Querdenker im Publikum, über Theater in der Finsternis.
PSEUDORAMA spielt zu Beginn der Covid-19-Pandemie. Ein namenloser Protagonist entfremdet sich durch ein Netz aus Verschwörungsgeraune und Desinformation allmählich immer mehr von seiner Umwelt. Was hat euch daran gereizt, ein Stück über die Zeit der Pandemie zu schreiben?
Kai Krösche: Diese Zeit ist keine fünf Jahre her und mittlerweile doch fast nur noch wie ein schwaches Echo in unserer Erinnerung präsent – wenn man über die Pandemie spricht, hört man oft, wie fern sie sich mittlerweile doch anfühle, scheinbar wie aus einem anderen Leben. Die Pandemie selbst lässt unsere Erinnerung gewissermaßen verschwimmen. Da scheint es eine Art kollektive Verdrängung zu geben, dass man sich mit Corona am liebsten gar nicht mehr befassen möchte, einfach Schwamm drüber.
Victoria Halper: Und dabei geriet während dieser Zeit so viel ins Rutschen. Eine polarisierte Gesellschaft, eine Aufkündigung gemeinsamer Fakten oder Maßstäbe, ein Strudel aus Desinformation: Einmal gesäter Zweifel kann durch Social Media nun massiv beschleunigt und zum lukrativen Geschäftsmodell werden. Ohne hohe Medienkompetenz ist es ungeheuer leicht, in all dem verloren zu gehen.
Krösche: Es war nicht nur eine Pandemie, sondern eben auch eine Infodemie.
Halper: Und jetzt sind wir alle in getrennten Bubbles gefangen, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, kaum Austausch miteinander haben und jeweils die absolute Wahrheit für sich beanspruchen.
Krösche: Dadurch wird es unmöglich, eine kollektive Erfahrung gemeinsam zu bewältigen oder sie im Nachhinein aufzuarbeiten. Und dieses Auseinanderdriften unserer sozialen Gefüge bietet wiederum idealen Nährboden für apokalyptische Narrative. Ein Teufelskreis.
Ihr sagtet, ihr würdet euch wünschen, dass auch Impfgegner:innen oder Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen diese Inszenierung zumindest respektieren könnten. Glaubt ihr, dass das in der derzeitigen politischen Landschaft wirklich möglich ist?
Krösche: Schwierige Frage. Aber genauso, wie es ja möglich ist, Figuren zu schreiben, deren Ansichten man nicht teilt, sollte es auch möglich sein, sich Geschichten zu stellen, deren implizite Haltung oder Perspektive man ablehnt – um danach trotzdem noch miteinander ins Gespräch zu kommen. Wir sind uns zwar unseres Idealismus in diesem Kontext bewusst, glauben aber an die Notwendigkeit, Widersprüche, innere wie äußere, auszuhalten, egal, wie man jetzt persönlich zu den Dingen steht. Wir fänden es jedenfalls falsch, in einer Geschichte über Gespaltene und Spalter selbst den Keil noch tiefer reinzutreiben.
Halper: Wir erzählen in PSEUDORAMA die Geschichte eines Impfgegners, der sich zunehmend radikalisiert, aber ohne ihn als Spinner oder Bösewicht vorführen zu wollen – das war uns wichtig, obwohl wir persönlich die Ansichten des Protagonisten nicht teilen. Das kann man sicher als den Versuch einer Empathie bezeichnen, welche aber deshalb nicht automatisch unkritisch oder romantisierend ist. Unser Protagonist ist Opfer und Täter zugleich. Und vor allem erst einmal: ein Mensch.
Foto: Apollonia T. Bitzan
Eure Arbeiten nähern sich oft dem Dokumentarischen an. Wie war nun die Zusammenarbeit mit den Journalist:innen von DOSSIER?
Halper: Die DOSSIER-Recherchen über Propaganda-Netzwerke und orchestrierte Fake News-Kampagnen wurden zum Anker des Stücks – es gab zahlreiche Rückfragen, DOSSIER hat uns Zusatzmaterial zur Verfügung gestellt, alle Behauptungen über historische Abläufe und Gegebenheiten sowie die im Stück genannten Zitate rigoros gefactcheckt, uns inhaltliches Feedback gegeben. Durch diese Hintergrund-Infos wurde uns klar, was für eine Figur wir auf der Bühne eigentlich erzählen möchten. Damit ihr Schicksal nicht aus der Luft gegriffen wirkt, sondern möglichst realitätsnah.
Krösche: Wir selbst betrachten unsere Arbeiten nicht als im engeren Sinne dokumentarisch, vielmehr schaffen wir häufig fiktive Geschichten, die aber im Faktischen verankert sind. Das heißt, wenn Fakten und Behauptungen über die Welt in unseren Stücken auftauchen, dann müssen die auch stimmen und gegengecheckt sein. Und gerade bei einem Stück über Desinformation wären inhaltliche Fehler oder sinnentstellende Verkürzungen natürlich besonders fatal.
Halper: Es ist im Grunde eine essayistische Erzählweise – der Realität verhaftet, aber frei in Form und Denken.
Dass eine Arbeit über Wahrnehmung und Desinformation im Theater stattfindet, liegt auf der Hand: Licht, Musik, Schauspiel sind ja allesamt Mittel, uns beim Zusehen emotional zu „manipulieren“.
Krösche: Die subjektive Erfahrung von Wahrheit, Geschichte und Geschichten interessiert uns in unseren Projekten stets – wer empfindet was wann und wie als real oder wahr, als Schein oder Lüge? Was ist verdrängt und verborgen, muss erst hervorgeholt werden? Und was bleibt für immer unausgesprochen?
In PSEUDORAMA verhandelt ihr diese Fragen auch ästhetisch. Die Inszenierung spielt mit unserer Wahrnehmung – und wie sie uns täuschen kann: durch Blitzlichter, akustische Illusionen und vor allem durch etwas im Theater äußerst Seltenes, nämlich absolute Finsternis. Wie kam es dazu?
Halper: Der Raum selbst ging mit der Entwicklung der Idee Hand in Hand. Die Dunkelkammer trägt die Dunkelheit und das Hermetische bereits im Namen. Es ist eine Black Box, eine Camera Obscura, im Halbrund angeordnet wie ein Panorama.
Krösche: Seit Beginn der westlichen Zivilisation sind Licht und Dunkelheit ja zentrale Metaphern für Wahrheit und Lüge. Da sind wir sofort bei Platos Höhlengleichnis, bei Denkfiguren wie der „Aufklärung“, der „Nachtseite der Vernunft“ oder beim Journalismus, der „Licht ins Dunkel“ bringt. Dabei haben wir uns gesträubt, die Ästhetik der „Querdenken“-Gruppen und Fake-News-Netzwerke zu reproduzieren, diese ganze effektheischende Pseudo-Nachrichtensender-Optik samt hochemotionalisierenden KI-Fakes. Ein endloser Strom aus falschen oder irreführenden Bildern, gepaart mit übersteuerten Gefühlen.
Halper: Man hätte das Publikum bei diesem Thema leicht von Anfang bis Ende mit Videoclips und Schlagzeilen bombardieren können. Aber unser Alltag ist bereits zu diesem medialen Dauerfeuer geworden, das ist längst nichts Besonderes mehr.
Krösche: Bei der Recherche wuchs bei uns immer mehr der Wunsch, das völlig zu reduzieren, uns in der Wahl unserer Mittel auf ein Minimum zu reduzieren und uns von Ästhetiken inspirieren zu lassen, die aus viel älteren Traditionen des „Dunklen“ stammen. In letzter Konsequenz schalten wir die Bildermaschine schließlich fast ganz aus.
Foto: Apollonia T. Bitzan
Was sind die praktischen Herausforderungen, in totaler Dunkelheit zu proben?
Krösche: Die größte Herausforderung ist es, den Raum wirklich komplett abzudunkeln. Unsere Augen sind extrem anpassungsfähig – es macht einen enormen Unterschied, ob es vollständig dunkel ist oder irgendwo noch ein minimaler Lichtschimmer bleibt, der uns Orientierung bietet. Wir wünschen uns eine Dunkelheit, an die sich die Augen auch nach mehreren Minuten nicht gewöhnen –eine Finsternis, die wir im Alltag so gar nicht mehr kennen, außer wir haben Höhlenforschung als Hobby.
Halper: Dieses Stück ist eine Reise, auf die man sich einlassen muss – wir gehen gemeinsam in die Dunkelheit, und wir treten gemeinsam aus ihr heraus. Das mag bei manchen Zuschauer:innen eine Unruhe auslösen. Aber trotz aller Immersion bleibt es ein sicherer Ort.
Gutes Theater ist ja immer auch ein bisschen wie Geisterbahn fahren.
Halper: Genau. Es ist ein Pseudorama. Die Bilder finden immer noch statt, aber eben ausschließlich in unserer Fantasie.

