„Jetzt bin ich leider tot!“
Dr. Heidkliff ist ein richtiger Mann. Er hat sein Leben im Griff. Zahnarzt, Gynäkologe, geschlechtsreif. Bei ihm ist alles im Lot, er ist die Norm. Frauen hingegen, naja. Frauen sind das Chaos, die Natur, anstrengend beseelt und bedeutsam, seit der Antike mindestens. Aber sie können neues Leben gebären! Vielleicht sogar neues männliches Leben, den Junior-Chef oder den Thronfolger. Amen und Prost.
Bei allen Entbindungen in Dr. Heidkliffs Praxis hilft ihm seine Verlobte, die fleißige Krankenschwester Emily. Allerdings auch schon auf den Geschmack gekommen: Aus ihrer Brust ragen zwei bluttropfende Holzpfahle, ihre Eckzähne sind merkwürdig spitz – aber „das, Emily, stört mich gar nicht, solange du das Haus nicht vernachlässigst.“
Das ändert sich, als das nächste Patient*innenpaar zur Tür hereinschneit. Benno Hundekoffer ist Steuerberater, seine Gattin Carmilla zum sechsten Mal schwanger. Die Geburt scheint zu glücken, der Nachwuchs wird schon eifrig von Benno begrüßt („Hoppla! Da sitzt ja einer im Ausguck! Dieser Ort ist Wien, das heißt Österreich!“). Doch dann stirbt Carmilla bei der Geburt, Benno ist auch kurz ein bisschen traurig deswegen. Emily hingegen – in Flirtlaune und dank all dem Geburtsblut voller Kohldampf – rettet Carmilla durch einen beherzten Biss in ihren Hals. Woraufhin eine vampirische Liebesbeziehung ihren Lauf nimmt – mit zwei Särgen als Ehebett. Als Proviant dienen Blutkonserven aus der Arztpraxis und notfalls geht es den Kindern an den Kragen. Heidkliff und Hundekoffer sind von der unerwarteten Subjektwerdung ihrer Gattinnen jedoch so gar nicht begeistert – und rufen auf zur ultimativen Jagd: „Verschwenderinnen von Saatgut! Ich möchte Krieg sein!“ Doch Untote lassen sich nicht mehr vereinnahmen …
Ein Sprachexzess, eine Diskurs-Anatomie, ein Konventionsfleischwolf: Elfriede Jelineks 1984 erstmals veröffentlichtes KRANKHEIT ODER MODERNE FRAUEN ist ein aberwitziger, Theater- und Moralgrenzen sprengender Kosmos, gegen den weder Knoblauch noch Kruzifix eine Chance haben. Die Aufführung des Stücks 1990 am Volkstheater brachte Jelinek erstmals auf eine große Bühne in Österreich, wurde zum Erfolg und Skandal gleichermaßen, die damalige Direktorin Emmy Werner wurde dafür sogar körperlich attackiert. Nun – eine Generation später – wirft Claudia Bauer einen neuen Blick auf diesen Text. Nach den Erfolgsinszenierungen humanistää! nach Jandl und MALINA nach Bachmann ist es ihre dritte Auseinandersetzung mit sensationeller österreichischer Literatur.
In dieser Inszenierung werden Themen wie Gewalt an Frauen und Kindern sowie andere potenziell belastende Inhalte in künstlerischer Form dargestellt. Zudem kommen Stroboskop-Effekte zum Einsatz.
„Die Schauspieler erobern die Bühne und machen ein Fest aus der bissigen Satire! […] Ähnlich wie bei humanistää nach Ernst Jandl und MALINA von Ingeborg Bachmann gelingt es Claudia Bauer, den Eigenarten einer österreichischen Sprachkünstlerin starke Bilder entgegenzusetzen und sie damit erst recht zum Leuchten zu bringen. Jelineks 80er-Jahre-Feminismus, wonach sich Frauen nur als Vampirlesben ihren besitzergreifenden Männern entziehen können, mag plump wirken und ist doch frappierend aktuell – in einem Österreich, dessen Koalitionsverhandler eine Herdprämie einführen wollen und in einer Welt, in der er es nach der letzten US-Wahl selbstbewusst hieß: ‚Your Body – My Choice‘.“ (Martin Thomas Pesl, Deutschlandfunk)
„In Bauers puppenhaft erzählter Frau-Mann-Welt geben große Gesten den Ton an. Übersteigerte Körperkomik, aberwitzige Mimik, scharfe Blicke und inbrünstig gesprochene Sätze beteuern hier die monströsen geschlechterpolitischen Vorgänge. Ein Vergnügen, wie Stoyanov als Hasenfuß-Gatte steifbeinig die Flucht ergreift. Der Wiener Schmusechor ist in dieser Inszenierung ein fabelhafter integraler Bestandteil.“ (Margarete Affenzeller, Der Standard)
„Furioses Frühwerk, tadellos gealtert. […] Die hauserprobte Regisseurin und ein starkes Ensemble karikieren und provozieren im obszönen Überdruck, der begleitende Schmusechor unterstützt die Musikalität des Textes. […] Dann löst man das Geschehen ins Sprachspielerische auf und es erblühen poetisch-groteske Momente auf Patricia Talackos Bühne. Gelungener Abend der scheidenden Direktion!“ (Heinz Sichrovsky, Kronen Zeitung)
„Claudia Bauers körperkomische Inszenierung von Elfriede Jelineks einstigem Skandalstück wurde am Wiener Volkstheater umjubelt. […] Großartig auf Punkt und Ton, Schritt und Pointe inszeniert.“ (Julia Schafferhofer, Kleine Zeitung)
„Mit KRANKHEIT ODER MODERNE FRAUEN ist der deutschen Regisseurin nach humanistää! und MALINA am Wiener Volkstheater ein drittes Theaterereignis gelungen, das am Freitagabend heftig akklamiert wurde. […] Lang anhaltender Jubel für einen sich lustvoll an Sprache und Bildern abarbeitenden Abend, der deutlich macht: Ein Skandal ist dieses Stück nicht mehr, aber vielleicht ist gerade das der Skandal.“ (Sonja Harter, APA)
„Wie zwei Jahre später in dem Roman LUST spielt Elfriede Jelinek in KRANKHEIT ODER MODERNE FRAUEN mit weiblichen Rollenzuschreibungen als Ehefrau, als Lustobjekt, als Mutter. Den scharfen Witz, den die Autorin dabei an den Tag legt, übersetzt Regisseurin Bauer in besonders liebevoll gestaltete Bösartigkeiten. Die Musik (PC Nackt) wird live von Mitgliedern des Schmusechors, einem queeren Wiener Gesangsverein, interpretiert; die Kostüme (Andreas Auerbach) sind von grandios-glamouröser Spießigkeit; das blutrote Bühnenbild (Patricia Talacko) entpuppt sich als begehbarer Frauenkörper. […] Die Schauspielerinnen und Schauspieler bersten vor Spielwitz, wobei Samouil Stoyanov als Steuerberater ungewohnt leise Töne anschlägt – was ihn umso komischer macht. […] KRANKHEIT ODER MODERNE FRAUEN sei ‚ein ganz ohne Zweifel ein geniales Stück, aber wahrscheinlich kein gutes‘, schrieb Benjamin Henrichs nach der Uraufführung vor 38 Jahren in der Zeit. Das Wiedersehen hat trotzdem Spaß gemacht.“ (Wolfgang Kralicek, Süddeutsche Zeitung)
„Klingt bunt, trashig und anstrengend. Ist es auch, nur hat Jelinek in Bauer eine Meisterin gefunden, was ‚bunt, trashig und anstrengend‘ angeht, und die wiederum im Volkstheater-Ensemble stimmgewaltige Verbündete, die den Text lustvoll behaupten. […] Mit humanistää! nach Ernst Jandl bescherte Claudia Bauer dem Volkstheater unter Kay Voges seinen ersten Triumph. Zum Ende der kurzen Ära krönt sie diese, Jelineks Parole ‚Ich will nicht spielen‘ ‚ entschieden trotzend, mit einem sinnlichen Fest: ganz hart und ganz weich zugleich.“ (Martin Thomas Pesl, nachtkritik)
„Die grotesken Figuren der Textfassung übersteigert sie zu einem poppigen Gruselkabinett und macht aus Theater ein Spektakel.“ (Lina Paulitsch, Falter)
„Die Wiener Premiere am vergangenen Freitag fand für Inszenierung und Darstellerleistungen ein begeistertes Publikum. […] Ein kritisches Volkstheater von Jelinek/Bauer, mit der grellen Überzeichnung schlechten Männer-Geschmacks, will der selbst ernannte ‚Volkskanzler‘ Herbert Kickl, so er es denn wird, mit Sicherheit nicht. Noch befindet sich das Land in den Wochen, wo sich die linken Intellektuellen über die Folgen des Wahlausgangs die Augen reiben und die Rechten Ausschau halten nach Stellungen für den Angriff. […] Die Inszenierung ist bereits Gegenwehr, nicht nur Augenreiben.“ (Michael Hametner, Der Freitag)
bis EUR 56,–
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